Japan bricht alle Regeln: Stimmt das?
Japan scheint ein Land zu sein, das in kein
gängiges Rahmenwerk passt. Ein Land, das immer wieder als Ausnahme erscheint. Wenn wir über „den
Westen“ sprechen, beziehen wir Japan meistens mit ein, obwohl es geografisch sogar östlicher als
China liegt. Japan ist das einzige G7-Mitglied, das weder in Westeuropa noch in Nordamerika liegt.
Es hat mit Abstand die höchste Staatsverschuldung im Verhältnis zum BIP weltweit und dennoch
gilt der Yen als internationale Reservewährung, auch wenn sein Anteil im Vergleich
zu Dollar oder Euro gering ist. Japan gehört außerdem zu den wenigen Ländern,
die während der Corona-Pandemie und nach dem russischen Einmarsch in die Ukraine nur eine
moderate Inflation verzeichneten. Für viele ist Japan das Paradebeispiel dafür, dass eine hohe
Staatsverschuldung gar kein Problem darstellt. Doch ist Japan wirklich so besonders? Hebelt
das Land tatsächlich alle Regeln vernünftiger Geld- und Fiskalpolitik aus? Wie lebt es sich
in der viertgrößten Volkswirtschaft der Welt? Was kann Deutschland von Japan lernen und wo
sind wir vielleicht sogar besser aufgestellt? All das klären wir im heutigen Video.
Macht es euch bequem und wir legen los. Ein paar Kennzahlen vorweg:
Gemessen am BIP belegte Japan im Jahr 2024 mit rund 4,0 Billionen US-Dollar
Platz 4, direkt hinter Deutschland mit etwa 4,7 Billionen. Allerdings hat Japan auch
deutlich mehr Einwohner. Beim BIP pro Kopf zeigt sich der Unterschied noch klarer:
In Japan lag das BIP pro Kopf 2024 bei rund 32.000 US-Dollar, in Deutschland waren
es 55.000, in Österreich sogar 57.000. Damit ist Japan beim Pro-Kopf-BIP eher mit
Slowenien vergleichbar als mit Deutschland. Und das ist nicht nur eine Momentaufnahme. Die
japanische Wirtschaft stagniert seit Jahrzehnten. Wenn man allerdings durch Tokio läuft,
merkt man von diesem Unterschied ehrlich gesagt überhaupt nichts. Die Restaurantpreise
liegen auf Münchner Niveau, und die Mieten sind teilweise sogar höher. Besonders dann, wenn man
Wohnqualität, Ausstattung und Dämmung einbezieht. Mich hat diese Diskrepanz überrascht:
Wie kann das sein? 1. Leben Menschen in Japan deutlich ärmer als
in Deutschland oder Österreich und man sieht es nicht auf dem ersten Blick oder
2. Ist Tokio nicht repräsentativ für das ganze Land.
Oder beides trifft zu. Fangen wir mit der ersten Erklärung
an, obwohl beide Punkte nicht einfach voneinander zu trennen sind.
Wer zum ersten Mal in Tokio ankommt, ist schnell beeindruckt: Bunte, flackernde
Werbetafeln, riesige Kaufhäuser für jeden Geschmack und Geldbeutel, unzählige
und vielfältige Restaurants, Cafés und Unterhaltungsangebote, das Stadtbild wirkt in
keiner Weise ärmer oder „abgehängt“. Im Gegenteil: Tokio wirkt vielerorts modern und wohlhabend.
Besonders auffällig ist der öffentliche Raum: Die Straßen sind sauber, gut ausgebaut, Müll
sieht man kaum, obwohl es keine öffentlichen Mülltonnen gibt, und der öffentliche
Nahverkehr funktioniert zuverlässig und pünktlich. Öffentliche Toiletten sind stets
sauber, kostenlos und überall vorhanden. Gleichzeitig zeigt sich die Stadt architektonisch
sehr gemischt: In einigen Vierteln dominieren Wolkenkratzer und moderne Glasfassaden, in
anderen stößt man auf einfache, zweistöckige Häuser in engen Gassen. Und überall verlaufen
überirdische Stromleitungen, ein Anblick, der wie aus der Zeit gefallen scheint. Die
Wohnhäuser in Tokio sind in der Regel klein. Nach einem Garten sucht man vergeblich, höchstens
steht ein Auto auf einem engen Stellplatz, daneben ein paar Blumentöpfe. In einigen
Stadtteilen reihen sich dagegen riesige Wohnblöcke aneinander. Aber ein eigenes Haus mit Garten
zählt auch in europäischen Metropolen längst zum Luxus, von daher ist das wenig überraschend.
Interessant wird es beim Blick auf die Statistik: Ein Münchener oder Berliner hat im Schnitt
35 bis 40 Quadratmeter Wohnfläche pro Person. In Tokio liegt dieser Wert bei gerade einmal
18 bis 25 Quadratmetern, also etwa der Hälfte. Das lässt sich erklären, wenn man die Mieten
in Tokio ins Verhältnis zum Einkommen setzt. Ein Quadratmeter kostet dort im Schnitt rund
25 Euro Miete pro Monat. Das heißt: Eine 40-Quadratmeter-Wohnung kostet rund 1.000 Euro.
In München liegt der durchschnittliche Quadratmetermietpreis bei 21,38
Euro. D. h. dieselbe 40 qm-große Wohnung würde in München 855 Euro kosten.
Klar, bei Neuvermietungen sieht das anders aus und zum Durchschnittspreis wird man
heute in München keine Wohnung finden, aber wir reden hier über Durchschnittswerte,
weil sie ein besseres Bild davon geben, wie viel Wohnraum sich die Bevölkerung im Durchschnitt
leisten kann. Nicht alle Münchener sind erst vor kurzem in die Stadt gezogen und suchen nach
einer neuen Wohnung. Viele haben ganz alte Verträge und zahlen sogar deutlich weniger als
der Durchschnittspreis. Das soll keinesfalls, dass Wohnproblem in München und vielen anderen
deutschen Städten klein reden. Knapper und teurer Wohnraum ist ein riesen Problem, v. a. aber nicht
nur in München und das Problem wird nicht kleiner, sondern eher größer. Aber Neuvermietungspreise
liefern in dem Fall ein verzerrtes Bild und erklären nicht, warum die durchschnittliche
Wohnfläche in München höher ist als in Tokio. Wie sieht es mit dem Einkommen aus?
Der durchschnittliche Bruttolohn in Tokio liegt derzeit bei etwa 3.565 Euro.
Nach Abzug von Steuern und Sozialabgaben, rund 24 %, bleiben etwa 2.709 Euro netto.
In München liegt das durchschnittliche Bruttogehalt laut kununu aktuell bei 4.753 Euro.
Für einen Single ohne Kinder ergibt das ein Nettoeinkommen von knapp 3.000 Euro.
Das heißt: Ein Münchner verdient rund 300 Euro mehr netto
im Monat und zahlt im Schnitt etwa 150 Euro weniger Miete für eine vergleichbare Wohnung.
Unterm Strich bleiben ihm also etwa 450 Euro mehr im Monat als einer durchschnittlich
verdienenden Person in Tokio, die in einer vergleichbaren Wohnung wohnt.
Auch andere Lebenshaltungskosten sind, wie das Portal Numbeo zeigt, durchaus mit
Deutschland vergleichbar. Der öffentliche Nahverkehr ist pro Einzelfahrt zwar günstiger,
aber es gibt keine klassischen Monatskarten wie in vielen europäischen Städten.
Da viele Strecken nach Entfernung abgerechnet werden, summieren sich die
Ausgaben schnell. Wer regelmäßig pendelt, zahlt in Tokio am Monatsende oft deutlich mehr als
in deutschen Großstädten, erst recht seit es in Deutschland das Deutschland-Ticket gibt.
Kurz gesagt: In Tokio lässt sich vom Durchschnittseinkommen solide leben, aber
große Rücklagen bilden ist schwierig.“ Und wie sieht es in der Provinz aus?
Sobald man die Großstadt verlässt und Businessanzüge gegen Fischeranzüge getauscht
werden, merkt man schnell: Die Preise sinken, der Platz wird größer, das Tempo ruhiger.
Hotelübernachtungen werden deutlich günstiger, die Zimmer geräumiger und in kleinen
Landrestaurants isst man teils für einen Bruchteil dessen, was man in Tokio bezahlen würde.
Und dabei spreche ich nicht nur von abgelegenen Dörfern am Ende der Welt, sondern unter andrem
von Regionen mit traumhaften Stränden für jeden Geschmack und einem hervorragend ausgebauten
Netz an abwechslungsreichen Wanderwegen. Wir waren zum Beispiel auf der Halbinsel
Izu unterwegs, nur etwa zwei bis zweieinhalb Autostunden von der Innenstadt Tokios entfernt.
Eigentlich ist die Izu-Halbinsel vor allem für ihre zahlreichen Onsen, also heißen Quellen
bekannt. Aber auch Surfer, Schnorchler, Taucher und Wanderer kommen hier voll auf ihre Kosten.
Wer allerdings eine touristisch überlaufene Küstenregion erwartet mit Hotels, Bars,
Campingplätzen und Restaurants an jeder Ecke, wird überrascht sein, wie bescheiden diese
Infrastruktur vor Ort ausfällt. Die kleinen Häfen sind nicht von Ausflugsbooten oder
Yachten gefüllt, sondern von Fischerbooten. Viele Häuser und Hotels wirken verlassen,
heruntergekommen oder wartend auf ihren Abriss. Und an den Stränden sieht man eher
Einheimische, die Algen sammeln, als Verkäufer von Touristensouvenirs.
Tatsächlich kämpft Japan seit Jahren mit einem zunehmenden Ungleichgewicht zwischen
den urbanen Zentren, allen voran Tokio, Osaka und Nagoya und dem ländlichen Raum. Während
die Großstädte weiterwachsen, leeren sich die ländlichen Regionen zusehends. Viele kleinere
Städte und Dörfer verzeichnen massive Abwanderung, Überalterung und wirtschaftlichen Niedergang.
Mehr als 90 % der japanischen Bevölkerung leben heute auf nur rund 30 % der Landesfläche. Und
allein der Großraum Tokio zählt über 37 Millionen Menschen, die größte Metropolregion der Welt.
37 Millionen, diese Zahl muss man sich wirklich auf der Zunge zergehen lassen. Das ist fast
die Hälfte der Bevölkerung Deutschlands, mehr als viermal so viele Menschen wie in
Österreich oder der Schweiz und etwa so viel wie ganz Kanada oder Polen.
Das bedeutet auch: Jeder dritte Japaner lebt im Großraum Tokio.
Die Stadt Tokio selbst hat etwa 10 Millionen Einwohner, also so viele Menschen, wie in ganz
Österreich leben, und das in einer einzigen Stadt. In der zweitgrößten Metropolregion, rund um
Osaka und Kyoto, leben weitere knapp 20 Millionen Menschen, also noch einmal doppelt so viele wie in
Österreich oder etwa so viele wie in ganz Bayern, Sachsen und Thüringen zusammen. Mit anderen Worten
heißt das auch, dass jeder zweite Japaner entweder im Großraum Tokio oder im Großraum Osaka lebt.
Dazu kommen weitere große Städte wie: • Nagoya mit 9 Millionen
• Fukuoka mit 4 Millionen
• Sapporo mit 2,5 Millionen • Hiroshima mit über einer Million Einwohnern.
Genau in diesen urbanen Zentren konzentrieren sich Arbeitsplätze, Hochschulen,
medizinische Versorgung und Infrastruktur. Wir sind oft beeindruckt von der Effizienz des
öffentlichen Verkehrs in Tokio: das engmaschige Bahnnetz, die Zuverlässigkeit, die Taktung. Und
natürlich von den Hochgeschwindigkeitszügen, Tokio–Osaka, 500 Kilometer in
weniger als zweieinhalb Stunden. Wir Deutschen sind zu Recht oft neidisch
auf Tokios und Japanische Infrastruktur und fragen uns zu Recht, warum schaffen es die
Japaner bequeme und zuverlässige Infrastruktur zur Verfügung zu stellen und wir nicht. Die
öffentliche Infrastruktur gehört definitiv zu den Dingen, auf die die Stadt Tokio und
Japan insgesamt, sicherlich stolz sein kann. Aber man muss ehrlicherweise auch zugeben, dass
man Tokio nicht einfach mit Städten wie Berlin, München oder Hamburg vergleichen kann.
Der Großraum Berlin-Brandenburg etwa umfasst über 30.000 km², mehr als doppelt so viel Fläche wie
Tokio-Yokohama, aber nur 6 Millionen Einwohner, also 1/6 der Bevölkerung vom Großraum Tokio.
Diese wahnsinnige Bevölkerungsdichte im Großraum Tokio macht den öffentlichen Nahverkehr natürlich
viel rentabler. Die Auslastung ist konstant hoch, was Investitionen rechtfertigt. In
Deutschland hingegen rechnet sich ein solch enges Netz oft schlicht nicht.
In der Provinz sieht es ganz anders aus. Klar, theoretisch ist auch dort vieles
erreichbar, und man kommt mit öffentlichen Verkehrsmitteln in fast jedes Dorf. Die
Frage ist nur: Wie lange braucht man dafür? Oft ist man mit dem Auto deutlich
schneller und flexibler unterwegs. Für eine Strecke, die mit dem Auto nur 20 bis
25 Minuten dauert, braucht man mit dem Bus eineinhalb Stunden. Wenn man als Touri unterwegs
ist und Zeit hat, kann man das sicher machen. Aber den Alltag so zu bestreiten, ist schwierig.
Die Situation erinnert stark an Deutschland, oder an viele andere europäische Länder:
Auf dem Land ist man ohne Auto meist aufgeschmissen.
Das sieht man auch anhand der Anzahl von Autobesitzern in der Hauptstadt
und auf dem Land. Im Durchschnitt kommen in Deutschland 580 Autos auf 1000 Einwohner, in
Japan sogar ein bisschen mehr 590 Autos auf 1000 Einwohner. Die Hauptstädte weichen in
beiden Ländern deutlich vom Durchschnitt ab, in Tokio 320 Autos und in Berlin 329 Autos pro
tausend Einwohner. Also die Verhältnisse sind gar nicht so weit von einander entfernt.
Warum zieht es Japaner in die Großstädte? In erster Linie natürlich:
Gehalt und Karrierechancen. Im Jahr 2024 lag das durchschnittliche
monatliche Gehalt in Japan bei etwa 3.200 Euro. In Tokio waren es 3.565 Euro, in Yokohama, das
inzwischen zur Metropolregion Tokio gehört 3.503 Euro, und in Osaka 3.447 Euro. In Okinawa dagegen
lag das Durchschnittsgehalt bei nur 2.422 Euro, also mehr als 1.000 Euro weniger pro Monat als
in Tokio. Okinawa mag eine paradiesische Insel im Süden Japans sein, bietet aber nur
wenige hochqualifizierte Arbeitsplätze. Für viele junge Japaner bedeutet das:
Entweder man geht in die Großstadt, oder man bleibt zurück. Und genau hier liegt
der Kern des japanischen Stadt-Land-Gefälles. Dörfer und kleine Städte sterben aus. In
manchen Orten in Tōhoku, Shikoku oder Teilen von Hokkaidō ist inzwischen mehr als ein
Drittel der Bevölkerung über 65 Jahre alt. Das Problem verstärkt sich von alleine. Wenn
junge Leute in die Großstädte ziehen, sinkt der Bedarf an Kitas, Schulen, Bars, Restaurants
usw. Die Busverbindungen werden ausgedünnt, die Bahnstation lahmgelegt. Das macht das Leben in
der Kleinstadt noch weniger attraktiv und bringt noch mehr Menschen zum Umzug in die Großstadt.
Wer bleibt sind viele alten, die gepflegt werden müssen, aber kaum Junge, die sie pflegen. Der
Staat versucht mit unterschiedlichen Angeboten und Subventionen diese Entwicklung abzubremsen,
allerdings bis jetzt mit wenig Erfolg. Tourismus könnte die ländlichen Regionen
wirtschaftlich stärken, aber: Japaner haben nicht allzu viel Urlaub. Wer neu in ein Unternehmen
einsteigt, bekommt 10 Urlaubstage, nach 6 Jahren Betriebszugehörigkeit sind es 20 Tage. Dazu kommen
16 gesetzliche Feiertage, was im internationalen Vergleich relativ viel ist, in Deutschland gibt es
z. B. nur 9 bundeseinheitliche Feiertage. Man muss allerdings bedenken, dass Krankheitstage in Japan
in der Regel nicht bezahlt werden, wer krank ist, nutzt dafür meist seine Urlaubstage.
So bleibt nicht viel Zeit zum Reisen, und ausländische Touristen konzentrieren
sich vor allem auf Tokio, Osaka, Kyoto und die Region um den Fuji.
Einige machen vielleicht noch einen Abstecher nach Nara oder Hiroshima,
aber dann wird es schnell dünn. Auch mobiles Arbeiten könnte
ländliche Regionen helfen. Homeoffice hat in Japan seit der Pandemie
zugenommen, und es bewegt sich etwas, wenn auch langsamer als in vielen westlichen
Ländern. Doch die Auswirkungen bleiben geografisch begrenzt: Wirklich abgelegenen Gegenden,
fernab der Großstadt, hilft das kaum. Das sind zwei Ansätze, die das Problem
etwas abmildern, aber nicht lösen. Tourismus schafft Arbeitsplätze, aber
selten hochqualifizierte und gut bezahlte. Und Homeoffice funktioniert nur dort, wo die
digitale Infrastruktur gut ausgebaut ist und nicht weit von den Großstädten entfernt. Auch wenn
mobiles Arbeiten sich auch in Japan verbreitet, arbeiten nur die wenigen ausschließlich mobil. Die
allermeisten müssen trotzdem regelmäßig ins Büro, auch wenn nicht mehr jeden Tag.
Fakt ist: Urbanisierung ist einfach verdammt effizient.
Japans Wirtschaft ist nach der Krise der 1990er-Jahre nicht kollabiert.
Das Land zählt auch heute noch zu den größten Volkswirtschaften der Welt und weist mit einer
Arbeitslosenquote von 2,6 % (Stand 2024) eine der niedrigsten unter allen OECD-Staaten auf.
Doch diese niedrige Arbeitslosigkeit hat auch ihren Preis: Sie geht mit einer
vergleichsweise geringen Produktivität einher. Laut dem Japan Productivity Center belegte
Japan im Jahr 2018 bei der Arbeitsproduktivität, also dem wirtschaftlichen Ertrag
pro geleisteter Arbeitsstunde, noch Platz 21 unter 36 OECD-Ländern. Seitdem
ist das Land allerdings deutlich zurückgefallen: 2022 rutschte Japan auf Platz 31 ab,
den niedrigsten Rang seit Beginn der Erhebungen. 2023 gab es zwar eine
leichte Verbesserung auf Platz 29, doch im internationalen Vergleich bleibt die
Produktivität deutlich unterdurchschnittlich. Im Jahr 2023 lag die durchschnittliche
Arbeitsproduktivität in Japan bei 56,8 US-Dollar pro Stunde. Zum Vergleich:
• In den USA lag dieser Wert bei knapp 97,7 US-Dollar
• In Deutschland bei etwa 76 US-Dollar • Japan bewegt sich auf einem ähnlichen Niveau
wie Polen (57,50 $) und Estland (56,50 $). Diese schwache Produktivität spiegelt sich
auch in den relativ niedrigen Löhnen wider: • Das durchschnittliche Bruttogehalt in
Japan lag 2024 bei etwa 3.200 Euro im Monat. • In Deutschland lag es bei 5.186
Euro, in Österreich bei 5.042 Euro, also rund 60 % höher als in Japan.
• Selbst in Tokio, wo die höchsten Durchschnittslöhne des Landes gezahlt
werden, erreichen die Gehälter nicht das Durchschnittsniveau in
Deutschland oder Österreich. Ein noch klareres Bild liefert das
Medianeinkommen, also jener Wert, bei dem die eine Hälfte der Bevölkerung
mehr verdient und die andere weniger: • In Deutschland lag es 2024 bei 4.347 Euro
• In Österreich bei 4.291 Euro • In Japan hingegen nur bei 2.925 Euro
Das ist ein erheblicher Unterschied. Relativ niedrige Gehälter sind nicht
nur für einzelne problematisch, sondern auch für die Gesellschaft als Ganze.
Der japanische Staat versucht seit Jahrzehnten, durch eigene Ausgaben die
Wirtschaft zu stabilisieren. Immer dann, wenn private Nachfrage oder
Investitionen ausbleiben, springt der Staat ein, mit Infrastrukturprojekten, Subventionen
oder Konjunkturprogrammen. Das funktioniert kurzfristig durchaus: Die Wirtschaft bleibt in
Bewegung, größere Einbrüche werden vermieden. Doch langfristig stößt dieser
Ansatz an seine Grenzen. Der Staat ist kein besonders
effizienter Unternehmer. Zwar kann er Nachfrage erzeugen, doch nicht die
gleiche Innovationskraft und Effizienz entfalten wie der private Sektor, insbesondere dann, wenn
sich Unternehmen im Wettbewerb um Kunden bemühen, seien es andere Unternehmen oder
Millionen von privaten Haushalten. Denn:
Private Firmen stehen unter Konkurrenzdruck. Sie MÜSSEN wirtschaftlich denken, innovativ handeln
und sich ständig an veränderte Marktbedingungen anpassen. Der Staat hingegen operiert oft ohne
Effizienzdruck, dafür aber mit schwerfälliger Bürokratie. Das führt dazu, dass öffentliche
Mittel häufig weniger produktiv eingesetzt werden. Je länger diese Struktur besteht,
desto größer wird das Problem. Denn der Staat manövriert sich
in eine Art Teufelsspirale: Er müsste sich eigentlich aus der Wirtschaft
zurückziehen, um dem Markt wieder mehr Raum zu geben, was langfristig die Produktivität
erhöhen könnte. Doch genau das ist schwierig. Denn niedrige Produktivität bedeutet mittel-
bis langfristig auch niedrigere Löhne. Wenn sich der Staat aus der Wirtschaft
zurückzieht, etwa durch weniger öffentliche Investitionen, weniger Subventionen
oder den Abbau sozialer Leistungen, hat das direkte Folgen für die Bevölkerung:
Weniger Aufträge für Unternehmen und weniger Geld im Portemonnaie von einzelnen Bürgern.
Gerade in einer Volkswirtschaft, in der viele Haushalte ohnehin den Großteil ihres
Einkommens für den Lebensunterhalt ausgeben, führen Einsparungen des Staates oder
Steuererhöhungen unweigerlich zu Konsumverzicht und zu Einschränkungen bei der
Lebensqualität. Und nicht nur das: Wenn weniger konsumiert und investiert wird, leidet am Ende
auch die Wirtschaft insgesamt. Der Rückgang der Nachfrage wirkt wie eine angezogene Handbremse.
Auf der anderen Seite: Je länger die Regierung wartet, desto schmerzhafter wird der spätere
Ausstieg. Denn mit jeder zusätzlichen Verzögerung sinkt die Produktivität weiter.
Und mit sinkender Produktivität schrumpft der Spielraum der privaten Haushalte.
Die Menschen werden real ärmer und der Staat selbst immer anfälliger für Krisen.
Diese Probleme äußern sich auch in der japanischen Staatsverschuldung. Denn: Wenn der Staat über
Jahre hinweg versucht, ausbleibende private Investitionen und schwache Lohnentwicklungen durch
eigene Ausgaben zu kompensieren, dann summieren sich diese Ausgaben, Jahr für Jahr. Gleichzeitig
steigen die Steuereinnahmen nicht im selben Maße. Das Ergebnis: Japan hat heute mit rund
240 % des Bruttoinlandsprodukts die höchste Staatsverschuldungsquote aller Industrieländer.
Ein Teil dieser Schulden stammt aus der Zeit nach dem Platzen der Immobilienblase in
den 1990er-Jahren, als der Staat mit groß angelegten Konjunkturprogrammen versuchte,
die Wirtschaft zu stützen. Seitdem ist diese Strategie allerdings zum Dauerzustand geworden.
Der Staat kann nicht ewig der Hauptmotor der Wirtschaft bleiben. Kommunismus funktioniert
nur in der Theorie. Der Staat kann und muss kurzfristig bei Krisen intervenieren, langfristig
führt es zu immer größeren Ineffizienzen, die eine Gesellschaft ausbremsen. Schuldenlast kann
auch zu einem Problem werden, spätestens dann, wenn Steuereinnahmen hauptsächlich dafür
verwendet werden, Zinsen für die Schulden zu bezahlen. In dem Moment ist es auch zweitrangig,
wem der Staat diese Zinsen bezahlt. Einer Bank, einer Versicherung, Max Mustermann oder Tom
Smith. Das Geld wird bezahlt und fehlt für andere Sachen. Wenn der Staat diese Zinsen nicht
pünktlich bezahlt, dann vertraut ihm keiner mehr und er bekommt Probleme Geld auszuleihen.
All diese Probleme untergraben auf Dauer auch die Unabhängigkeit einer Zentralbank,
nicht formal, aber faktisch. Denn je höher die Staatsverschuldung, desto größer der
Druck auf die Geldpolitik. Der Staat, aber auch Unternehmen und private Haushalte sind
in einem solchen Umfeld stark auf niedrige Zinsen angewiesen. Schon minimale Zinserhöhungen
würden enorme Zusatzkosten verursachen: 0,1 % Zinsanstieg auf eine Verschuldung
von 9 Billionen Euro bedeutet zusätzliche 9 Milliarden Euro an Schuldendienst. Mit
diesem Geld könnte man zehntausende Lehrkräfte, Pflegekräfte oder Polizisten für ein ganzes Jahr
finanzieren. Das geht aber nicht, weil man es nun an Anleihen- Inhaber überweisen muss. Und das
nur durch eine scheinbar kleine Zinsbewegung. Die Zinsen in Japan sind auch deshalb so niedrig,
weil die Bank of Japan über Jahre hinweg massiv Staatsanleihen auf dem Sekundärmarkt
aufgekauft hat. Wenn sie damit aufhört, sinkt die Nachfrage nach diesen Anleihen und die
Zinsen steigen. Für den Staat wird es dann teurer, sich Geld zu leihen. Je höher der
Schuldenstand, desto riskanter wird dieser Mechanismus. Keine Zentralbank, unabhängig
von ihrem Mandat, kann ein Interesse daran haben, den Staat in die Zahlungsunfähigkeit
zu treiben, weil das letztlich auch das Vertrauen in die Währung erschüttern würde
und den Bürgern für Jahrzehnte schaden würde. Die japanische Notenbank steht damit vor einem
Dilemma: Was tun, wenn die Inflation steigt, aber die Spielräume fehlen, um gegenzusteuern?
Im März 2024 hat Bank of Japan den ersten Schritt gemacht und sich vorsichtig von der
ultralockeren Geldpolitik verabschiedet. Der Leitzins wurde von –0,1 % auf 0–0,1 % angehoben
und seitdem langsam auf 0,5 % erhöht. Im Juni 2024 begann die Zentralbank zusätzlich mit
dem sogenannten „Quantitative Tightening“, also dem Abbau ihrer Bilanz durch die Rückführung
von Anleihebeständen. Doch der Weg ist steinig. Die Märkte reagierten nervös, teils sogar so
deutlich, dass sich die BoJ gezwungen sah, ihr Tempo weiter zu drosseln. Statt wie geplant
die Bilanzsumme um 400 Milliarden Yen pro Quartal zu senken, kündigte sie am 18 Juni dieses Jahres
an, den Abbau ab dem Fiskaljahr 2026 auf nur noch 200 Milliarden Yen pro Quartal zu halbieren. Das
entspricht gerade einmal 1 Billion Yen pro Jahr, also nicht mal 0,2 % des aktuellen Bestands
von rund 560 Billionen Yen. Bei diesem Tempo würde der Abbau über 500 Jahre dauern.
Ich will damit nicht sagen, dass eine Zentralbank ihre gesamten Staatsanleihen verkaufen sollte.
Darum geht es nicht. Es geht darum zu zeigen, wie stark ihr Handlungsspielraum eingeschränkt
ist. Denn wenn die Märkte auf geldpolitische Maßnahmen panisch reagieren, kann sie nur
mit größter Vorsicht agieren. Die Ankäufe der Vergangenheit waren aus damaliger Sicht begründet,
sie sollten die Konjunktur stützen, Investitionen fördern, den Konsum ankurbeln. Doch sie haben
zu einer ungesunden Abhängigkeit geführt. Die hohe Staatsverschuldung ist
kein Zufall: Der Staat hat versucht, wirtschaftliche Schwächen durch eigene Ausgaben
zu kompensieren. Weil private Haushalte und Unternehmen nicht ausreichend konsumiert
oder investiert haben, sprang der Staat ein, und hat dabei riesige Schuldenberge angehäuft.
Wie man nun aus dieser Lage herauskommt, ist unklar. Die Zentralbank steht unter Druck,
weil sie einerseits auf die steigende Inflation reagieren muss, andererseits aber verhindern
will, dass die Märkte destabilisiert werden. Also was können wir von Japan lernen?
Ein gut funktionierender Staat kann eine wirtschaftliche Apokalypse nach jeder Krise
verhindern, und ein Land kann sehr lange stabil leben, auch wenn es kaum mehr wächst. Einige
Jahre Stagnation sind keine Katastrophe. Aber: Wenn Strukturreformen zu lange verschleppt
werden und der Staat dauerhaft versucht, fehlende private Investitionen und Konsum
zu kompensieren, dann leidet auf Dauer die Produktivität. Die Folge: Die Bevölkerung wird
langsam, aber sicher ärmer, und am Ende belastet der Staat nicht nur die Wirtschaft, sondern
auch sich selbst und seine Institutionen. Bessere Infrastruktur lässt sich leichter
durch höhere Urbanisierung erreichen, aber das verschärft das Stadt-Land-Gefälle.
Auch das sieht man in Japan sehr deutlich. Und: Saubere Straßen sagen nicht zwangsläufig
etwas über den materiellen Wohlstand eines Landes aus, sondern oft mehr über
das Verantwortungsgefühl der Bürger, über gegenseitigen Respekt und gelebte
Rücksichtnahme. Wenn alle mitziehen, braucht es auch weniger teure kommunale Eingriffe,
um den öffentlichen Raum lebenswert zu halten. Wenn euch das Video gefallen
hat, gebt mir gern einen Daumen nach oben und abonniert den Kanal.
Bis zum nächsten Mal, macht’s gut!
Japan gilt als Land der Gegensätze: Ultra-hohe Staatsverschuldung, aber stabile Währung. Jahrzehntelange Stagnation , aber funktionierende Infrastruktur. Geringe Produktivität, aber Vollbeschäftigung. Was steckt wirklich hinter dem japanischen Wirtschaftsmodell?
Wir werfen einen Blick auf:
Lebensstandard und Wohnkosten in Tokio vs. München
Stadt-Land-Gefälle
Produktivität und Löhne
Geld- und Fiskalpolitik Japans im historischen Kontext
Die Rolle der Zentralbank und ihr Dilemma
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3 Comments
Herzlichen Dank! Ein spannendes Video.
Vielen Dank für die tolle Arbeit. Dieses Video wirft etwas mehr Licht auf das Leben in einem Land, das zwar geographisch meilenweit von Deutschland entfernt ist, aber großes Interesse am Leben und der wirtschaftlichen Entwicklung in diesem Land weckt.
Super info